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Neues aus dem Verkehrsrecht

Was darf man tun, wenn jemand die Straße blockiert?

Blockaden und speziell Straßenblockaden waren eigentlich schon immer ein Instrument zur Durchsetzung politischer Ziele. Was mit der Anti-Atomkraftbewegung begonnen hatte, scheint sich jetzt mit der „Letzte Generation“ zum Schutz des Klimas fortzusetzen. Die Interessen derjenigen, die sich auf der Straße festkleben und denjenigen, die sich auf der Straße am Fortkommen behindert fühlen, scheinen unvereinbar. Zwangsläufig ergibt sich ein hohes Konfliktpotenzial. Wer als Autofahrer betroffen ist und die Blockade der Straße nicht akzeptieren will, muss sich der Herausforderung stellen, was man tun darf, wenn jemand die Straße blockiert. Eine Lösung, die alle Beteiligten zufrieden stellt, wird es wohl nicht geben. Umso mehr kommt es darauf an, die Interessen aller Beteiligten gegeneinander abzuwägen.

Worin besteht die Problematik von Straßenblockaden?

Rechtlich betrachtet ist die Problematik von Straßenblockaden komplex. Dies zeigt sich bereits daran, dass auch die Rechtsprechung erhebliche Probleme hat, eine klare Linie zu fahren. Letztlich wird die Entwicklung zeigen, wohin die Reise geht. Am Ende ist zu erwarten oder zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht mehr oder weniger Klarheit schafft.

Die Problematik zeigt sich auch daran, dass in den Medien höchst unterschiedlich diskutiert wird, inwieweit Straßenblockaden gerechtfertigt sind und wie mit Klimaklebern umzugehen ist. Jeder Beitrag, wahrscheinlich auch dieser Beitrag, ist von subjektiven Einschätzungen geprägt. Eine hundertprozentige objektive Betrachtungsweise scheint kaum möglich.

Wenn man jedenfalls die Rechtsprechung zu früheren Blockadeaktionen (z.B. Widerstand gegen Atommülltransporte, Sitzblockaden bei der Stationierung der Pershing-II-Raketen,) betrachtet, dürfte klar sein, dass das staatliche Gewaltmonopol immer Vorrang hat und die von Privatpersonen vertretenen Interessen die Interessen anderer Beteiligter respektieren müssen.

Denn, werden Straßen blockiert, treffen gegensätzliche Interessen aufeinander. Die „Letzte Generation“ verfolgt das absolut nachvollziehbare Ziel, das offensichtlich bedrohte Klima zu retten. Die Aktivisten berufen sich auf die Versammlungsfreiheit und das Recht der freien Meinungsäußerung. Sie rechtfertigen ihre Aktionen mithin unter Verweis auf das Bundesverfassungsgericht, das den Staat im April 2021 zum Klimaschutz verpflichtet habe. Außerdem verliere eine Versammlung laut Bundesverfassungsgericht den grundgesetzlichen Schutz erst dann, wenn es zu aggressiven Ausschreitungen oder Gewalttätigkeiten kommt, nicht aber, wenn Dritte lediglich behindert werden. Ob sich daraus das Recht ableiten lässt, auch den Bürger vor Ort als Ansprechpartner zu betrachten und faktisch in Geiselhaft zu nehmen, erscheint fraglich.

Dieser Rechtsposition steht das Interesse betroffener Autofahrer entgegen, die sich genötigt fühlen. Hier ergibt sich die Problematik, dass eine Nötigung immer verwerflich sein muss. Verwerflich ist ein Verhalten dann, wenn entweder der „Zweck, das Mittel oder die Zweck-Mittel-Relation einen erhöhten Grad sittlicher Missbilligung“ erfüllt.

Wenn man das hehre Ziel des Klimaschutzes berücksichtigt, kann eine Nötigung eigentlich nicht verwerflich sein. Dennoch kann es nicht sein, dass die Interessen der Aktivisten bedingungslos dafür sprechen, die Interessen anderer völlig außer Acht zu lassen. Die Inanspruchnahme eines Grundrechts findet immer dort eine Grenze, wo das Grundrecht anderer, nämlich die Bewegungsfreiheit als Ausdruck des Persönlichkeitsrechts der Autofahrer, beginnt. Ob bei der dafür notwendigen Abwägung das eine oder andere Interesse überwiegt, ist derzeit Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen.

Mit dem Argument, Klimaschutz sei höherwertig als alles andere, ließe sich letztlich jede Straßenblockade rechtfertigen, die beispielsweise darauf verweist, dass Millionen von Menschen in der Welt hungern, dass Kriege geführt werden oder einige Menschen immer reicher und andere immer ärmer werden. Auch wenn Worte nicht unbedingt immer das bewirken, was erreicht werden soll, muss es in einem demokratischen Staat oberstes Gebot sein, Ziele mit angemessenen Methoden zu verfolgen.

Darf man einen Klimakleber von der Straße ziehen und wegtragen?

Nach Recherchen des RBB gibt es derzeit (Stand 20. Juli 2023) bundesweit mindestens 142 Ermittlungsverfahren gegen Autofahrer oder Passanten, die gegen Aktivisten vorgegangen sind. Davon entfielen allein 99 auf Berlin. Meist geht es um Körperverletzung, Nötigung und Beleidigung. Die Staatsanwaltschaften prüfen, ob die gewalttätigen Übergriffe auch als Notwehr beurteilt werden können.

Ansatzpunkt dafür ist, dass ein Aktivist eine physische Zwangswirkung ausübt, wenn Autofahrer an der Weiterfahrt gehindert werden. Dies betrifft nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zumindest diejenigen Autofahrer, die ab der zweiten Autoreihe eine körperliche Zwangswirkung dadurch erfahren, dass sie durch den Vordermann an der Weiterfahrt gehindert werden (sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung).

Wenn man annimmt, dass das Verhalten der Klimakleber und die dadurch bedingte Nötigung verwerflich einzustufen sind, könnte durchaus ein Notwehrrecht gerechtfertigt sein. Dabei spielen die Umstände im Einzelfall eine Rolle, so dass es auf das Ausmaß des Sitzstreiks, dessen Dauer, die Örtlichkeit und eventuelle Ausweichmöglichkeiten ankommt. Sofern dadurch Krankenwagen oder Rettungsdienste behindert werden und unbeteiligte Dritte in Lebensgefahr geraten, dürfte an der Verwerflichkeit der Nötigung und die dadurch gerechtfertigte Notwehr kaum Zweifel bestehen. Wird hier notwendigerweise abgewogen, müssen die Interessen der Klimakleber zurücktreten. Ob auch das Interesse, rechtzeitig den Arbeitsplatz zu erreichen, ein überwiegendes Interesse darstellt, ist eine problematische Abwägung. Letztlich spielt auch eine Rolle, ob die Aktion bei den Behörden angemeldet war oder spontan erfolgt ist.

Nach einer Entscheidung des Amtsgericht Berlin-Tiergarten (Beschluss vom 5.10.2022, Az. 303 Cs 202/22) soll eine Sitzblockade durch Klimachristen keine Nötigung darstellen, während das Landgericht Berlin einen Aktivisten wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 600 € verurteilt hat. Es wurde klargestellt, dass auch das Versammlungsrecht des Grundgesetzes es nicht rechtfertige, gezielt den Verkehr lahmzulegen und in die Rechte Dritter einzugreifen, um eigene politische Ziele zu erreichen. Der Klimaschutz könne bei der strafrechtlichen Bewertung keine direkte Rolle spielen. Der Fall liegt beim Kammergericht zur Entscheidung, so dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Die gegensätzlichen Entscheidungen der Gerichte zeigen, dass es einerseits auf den Einzelfall ankommt, andererseits aber auch die persönliche Beurteilung des jeweils zuständigen Richters bzw. Richterin und dessen politische Einstellung eine ganz erhebliche Rolle spielen dürften.

Was tun bei Klimaaktivisten?

Jede Empfehlung, was bei Klimaaktivisten zu tun oder zu unterlassen ist, ist relativ. Wenn sich Klimakleber unangemeldet auf einer Straße festkleben, darf der Autofahrer, der im Stau steht, nach Meinung einiger Juristen, den Aktivisten durchaus von der Fahrbahn losreißen und wegtragen, auch wenn damit Handverletzungen verbunden sein sollten. Der Autofahrer befinde sich in einer Notwehrsituation. Recht brauche Unrecht nicht zu weichen.

Andere verweisen darauf, dass ein Autofahrer nicht das Recht habe, das staatliche Gewaltmonopol in Frage zu stellen und Befugnisse auszuüben, die nur der Polizei zustehen. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Polizei vor Ort ist. Dann muss es ausschließlich Aufgabe der Polizei sein, zur Befriedung der Verhältnisse beizutragen. Wieweit diese Einschätzung auch zur Geltung kommt, wenn die Polizei noch nicht vor Ort ist, bestimmen die Umstände im Einzelfall.

Da es für einen Autofahrer schwierig ist, die Situation insgesamt zuverlässig einzuschätzen, ist immer mit einer Anzeige zu rechnen, wenn selbst Hand angelegt wird. Hat sich ein Aktivist noch nicht festgeklebt und ist die Polizei nicht vor Ort, kann es durchaus gerechtfertigt erscheinen, diesen von der Straße zu tragen. Die Grenze der Selbsthilfe wird dabei überschritten, wenn, wie es ein Mann bei einer Blockade am Hermannplatz in Berlin versucht hatte, die Hand eines Aktivisten mit einem Feuerzeug angezündet wird. Genauso riskant ist, wenn ein Lkw-Fahrer, wie geschehen, versucht, zwischen den Körpern der Klimaaktivisten hindurch zu manövrieren.

Wird der Aktivist von der Straße gerissen und wegen der Verklebung die Hand schwerwiegend verletzt, könnte gleichfalls eine Grenze überschritten sein. Auf jeden Fall ist die Anwendung von Gewalt durch Privatpersonen immer problematisch. Auch wenn sich Klimakleber nicht zur Wehr setzen, ist es immer schwierig einzukalkulieren, wie sich die Situation entwickelt. Das Risiko, dass die Befindlichkeiten eskalieren, ist hoch.

Was tun bei einem Notfall?

Gewalt ist selten eine Lösung. Gewalt provoziert, egal wer sie ausübt. Auf Gewalt mit Gewalt antworten, ist deshalb auch nicht unbedingt eine Lösung. Besteht ein Notfall, sollte man trotz aller Widrigkeiten versuchen, die Ruhe zu bewahren und Verständnis zu zeigen. Immerhin haben die Klimakleber ein berechtigtes Anliegen. Sie wollen niemanden persönlich schaden. Muss man wirklich dringend vorbei, sollte ein vernünftiger Klimakleber bereit sein, Platz zu machen, insbesondere wenn nachvollziehbar erklärt wird, warum Eile besteht.

Keine Lösung ist auch, das eigene Auto auf der Fahrbahn stehen zu lassen und den Weg zu Fuß fortzusetzen. Wird die Aktion aufgelöst, blockiert auch das eigene Auto die Straße. Ansonsten bleibt nur zu warten, bis die Polizei eintrifft. Sobald staatliche Hilfe vor Ort ist, kommt private Notwehr nicht mehr in Betracht.

Alles in allem

In einer Demokratie treffen teils extrem unterschiedliche und gegensätzliche Interessen aufeinander. Wer den demokratischen Staat nicht in Frage stellen will, muss bereit sein, sich mit allen Beteiligten auseinandersetzen. Wer stur die eigene Linie verfolgt, muss respektieren, dass sich andere provoziert fühlen. Letztlich müssen wohl Gerichte entscheiden, nach welchen Kriterien abgewogen wird. Es ist zu erwarten, dass jede Entscheidung, egal wie sie ausfällt, immer das Interesse einer beteiligten Partei hintenanstellt und die Entscheidung trotzdem zu akzeptieren ist.

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Autor iurFRIEND-Redaktion vgwort-pixel

Datum 30. August 2023

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