Warum gehören die Desinfektionskosten zu den Reparaturkosten?
Waren Sie ohne eigenes Verschulden in einen Verkehrsunfall verwickelt, muss der Unfallgegner und dessen Haftpflichtversicherung die Reparatur Ihres Fahrzeugs bezahlen. So hat das Amtsgericht Vaihingen (Urteil vom 29. Juni 2021, Aktenzeichen 1 C 129/21) in einer sehr überzeugenden Begründung dargelegt, dass auch die Desinfektionskosten zu den Reparaturkosten gehören.
- Diese Kosten sind nämlich darauf zurückzuführen, dass sich der Unfall während der Corona-Pandemie ereignete, also in einem Zeitraum, in dem in sämtlichen Bereichen des täglichen Lebens zur Bewältigung der Pandemie Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
- Als Geschädigter haben Sie darauf keinen Einfluss. Auch die Autowerkstätten haben im Hinblick auf die Kontrollen durch die Ordnungsämter keine andere Wahl, als die Erkenntnisse der Wissenschaft im Betrieb umzusetzen.
- Da die Hygienemaßnahmen einen entscheidenden Faktor zur Bewältigung des Infektionsrisikos darstellen, ist auch die Desinfektion des Fahrzeugs vor der Rückgabe an den Kunden eine konsequente Maßnahme.
Auf welcher Rechtsgrundlage sind Desinfektionskosten erstattungspflichtig?
Wenn Sie Ansprüche zivilrechtlicher Art geltend machen, ist es immer hilfreich, wenn Sie auf eine Rechtsgrundlage verweisen können. Die Frage, inwieweit Desinfektionskosten erstattungspflichtig sind, beurteilt sich nach Maßgabe des § 249 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Danach hat derjenige, der zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand wieder herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
In den gerichtlich entschiedenen Fällen ging es darum, dass die Reparaturwerkstätten die Desinfektionskosten berechnet hatten, ohne dass der Auftraggeber vorher auf diesen Kostenansatz hingewiesen worden wäre. Da die Haftpflichtversicherer sich weigerten, die Desinfektionskosten zu erstatten, klagten die Geschädigten den Kostenaufwand bei Gericht ein. Dabei ging es um die Frage, welcher Reparaturaufwand erforderlich und angemessen sei.
Das Amtsgericht Vaihingen belehrte den Haftpflichtversicherer, dass der erforderliche Reparaturaufwand nicht nur durch Art und Ausmaß des Schadens, sondern auch von den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten mitbestimmt werde. Vor allem sei er auf die Mitwirkung des Sachverständigen und der Reparaturwerkstatt angewiesen, ohne dass er als Laie in der Lage wäre, den erforderlichen und angemessenen Reparaturaufwand abzuschätzen. Dem Geschädigten seien im Hinblick auf seine Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten bei der Schadensregulierung Grenzen gesetzt, vor allem, weil er den Reparaturauftrag erteilen und das Unfallfahrzeug in die Hände von Fachleuten übergeben muss.
Gut zu wissen: Wer trägt das Werktstattrisiko?
Berechnet die Werkstatt dann den Kostenaufwand für die Desinfektion des Fahrzeuges, trägt der Unfallgegner und dessen Haftpflichtversicherung das „Werkstattrisiko“, also ein Risiko, das der Haftpflichtversicherer auch tragen müsste, wenn er die Reparatur selbst beauftragt hätte. Er muss denjenigen Geldbetrag erstatten, den ein verständiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter zur Schadensbehebung aufgewandt hätte. Dabei sei die Reparatur nicht auf die kostengünstigste Maßnahme beschränkt. Der Geschädigte müsse nicht zugunsten des Schädigers sparen. Vor allem dürfe er sich auf die Vorgaben des Sachverständigen verlassen.
Dabei komme es auch nicht darauf an, ob es sich um Maßnahmen des Arbeitsschutzes oder Aufwendungen zum Schutz des Kunden handelt. Es entspreche den Grundsätzen der betriebswirtschaftlichen Kalkulation, den Kostenaufwand auf den Kunden umzulegen. Es komme auch nicht darauf an, ob die Mehrkosten durch eine Erhöhung der Lohnkosten oder durch eine gesonderte Position „Desinfektionsmaßnahme Covid19“ berechnet werden. Im Gegenteil: Die gesonderte Ausweisung in der Rechnung schaffe mehr Transparenz und trage dem Umstand Rechnung, dass die Maßnahme künftig nicht mehr notwendig wird sein werde.
Das Gericht wies auch den Einwand des Haftpflichtversicherers zurück, dass Desinfektionskosten sich rein zufällig im Zeitraum der Corona-Pandemie ereigneten und es sich insoweit um einen Fall höherer Gewalt handle, der dem Lebensrisiko des Geschädigten zuzurechnen sei. Da der Geschädigte aber auf die Entstehung der Desinfektionskosten keinerlei Einfluss habe und diese nur entstehen, weil er sein Fahrzeug unfallbedingt zur Reparatur geben muss, gehören die Kosten zum erforderlichen Schadensbeseitigungsaufwand.
Auch der Einwand, der Kostenansatz sei maßlos überhöht (die Reparaturwerkstätten berechneten meist etwa 50 - 80 EUR), berücksichtige nicht, dass die Werkstatt neben den Kosten für das Desinfektionsmittel auch den Zeitaufwand der Mitarbeiter in Rechnung stellt.
Gut zu wissen: Höheres Infektionsrisiko im Winter
Das Robert-Koch-Institut weist darauf hin, dass die Infektiosität von Coronaviren auf unbelebten Oberflächen in Abhängigkeit von Material und Umweltbedingungen wie Temperatur und Feuchtigkeit abnimmt. Bei Corona-Viren konnte gezeigt werden, dass das Virus bis zu 6 Tage auf bestimmten Oberflächen infektiös bleibt. Im Hinblick auf die kalten Wintermonate müsse bei niedrigen Temperaturen sogar von einer längeren Infektiosität des Virus ausgegangen werden. Dem Risiko könne nur konsequent entgegengewirkt werden, indem Oberflächen konsequent desinfiziert werden.
Ausnahme: Keine Erstattung der Desinfektionskosten vor der Reparatur
Wird das Fahrzeug allerdings vor der Reparatur von der Werkstatt desinfiziert, gehöre der Kostenaufwand jedoch nicht zu den erstattungsfähigen Reparaturkosten (Amtsgericht Wolfratshausen, Urteil vom 15.12.2020, Aktenzeichen 1 C 687/20). Der Haftpflichtversicherer brauche nur die Kosten für die Definition zu bezahlen, die bei der Übergabe des Fahrzeugs an den Kunden entstehen.
Diese Desinfektionsmaßnahme diene dem Schutz des Geschädigten, dem es nicht zuzumuten sei, sich einer potenziell bestehenden Infektionsgefahr durch die Mitarbeiter auszusetzen, die das Fahrzeug in der Werkstatt repariert haben. Es handele sich um eine reine Arbeitsschutzmaßnahme, die sich aus dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit begründet und im Verantwortungsbereich der Werkstatt verbleibt. Schließlich habe der Arbeitgeber gegenüber seinen Mitarbeitern eine arbeitsvertragliche Schutz- und Fürsorgepflicht. Vor allem bei Kundenkontakten erwachse daraus die Verpflichtung, beispielsweise Desinfektionsmittel zur Verfügung zu stellen.
Expertentipp: Kosten im Sachverständigengutachten benennen
Möchten Sie sicher gehen, dass die Desinfektionskosten bei der Rückgabe Ihres Fahrzeuges vom Haftpflichtversicherer des Unfallgegners übernommen werden, sollten Sie darauf achten, dass der Kostenansatz im Gutachten des Sachverständigen benannt wird.
Alles in allem
Wenn es zu einem Unfall kommt, muss derjenige, der den Unfall verursacht hat bzw. dessen Haftpflichtversicherung die Kosten für die Desinfektion des Unfallautos übernehmen. Das ist sicherlich nicht der größte Kostenfaktor, doch immerhin ist für Klarheit gesorgt und Sie können sich auf wichtigere Dinge konzentrieren.