Warum sollen Motorradfahrer sonntags zu Hause bleiben?
Der Bundesrat hat am 15. Mai 2020 beschlossen, gegen den Lärm von Motorrädern vorzugehen und hat bei der Bundesregierung angeregt, über ein Motorradfahrverbot an Sonntagen nachzudenken. Auf Vorschlag des Bundesrats sollen neu zugelassene Motorräder künftig nur noch einen Lärmpegel von maximal 80 dB verursachen dürfen. 80 dB entsprechen der Lautstärke eines Benzinrasenmähers.
Werden die vorgegebenen Dezibelwerte überschritten, soll die Polizei künftig das Motorrad beschlagnahmen dürfen. Der Gesetzgeber will auch das Sounddesign verbieten und Motorradfahrer darin einschränken, den Sound des Motorrads individuell einzustellen. In letzter Konsequenz sollen Motorradfahrer ihr Motorrad an Sonn- und Feiertagen zu Hause lassen müssen.
Grund für die Einschränkung ist der von einigen Motorradfahrern verursachte Lärm. Da Lärm nervt und krank macht, fühlen sich Anwohner und Touristen in ihrem Wohn- und Lebensgefühl davon beeinträchtigt. Anwohner, die an viel befahrenen Straßen wohnen und Touristen, die in Urlaubsregionen Erholung suchen, fühlen sich durch den Lärm vorbeirasender Motorradfahrer genervt. Weil Motorradfahrer gerne auch dort unterwegs sind, wo Touristen sich wohl fühlen, beeinträchtige der Lärm die Attraktivität mancher Urlaubsregionen. Wenn Anwohner davon berichten, dass Motorradfahrer an der roten Ampel mit Vollgas starten und den Motor bis zur Schallgrenze hochziehen, lässt sich nachvollziehen, dass Motorradfahren nicht jedermanns Sache ist.
Was sagen Kritiker zum Motorradfahrverbot an Sonntagen?
Die vier Millionen Motorradfahrer in Deutschland fühlen sich diskriminiert. Eine sofort ins Leben gerufene Online-Petition „Keine Fahrverbote für Motorräder an Sonn- und Feiertagen“ von Anfang Juni 2020 hat bereits über 140.000 Unterzeichner motiviert, ihre Kritik beim Petitionsausschuss des Bundestages und im Verkehrsministerium vorzutragen. Dass Verkehrslärm ein Problem darstelle, ist unstreitig. Allerdings dürfe der Lärm nicht einseitig auf Motorradfahrer fokussiert werden. Schließlich werde Verkehrslärm auch von anderen Verkehrsteilnehmern produziert, so dass das Thema eine viel größere Dimension habe. Allenfalls könne es darum gehen, eine kleine Gruppe unter den Motorradfahrern stärker in die Verantwortung einzubeziehen.
Demgemäß hält auch der ADAC ein Sonntagsfahrverbot für Motorradfahrer für eine überzogene Kollektivstrafe. In der Mehrheit verhalten sich Motorradfahrer ordnungsgemäß. Um die Beeinträchtigungen einzuschränken, empfiehlt der ADAC, die Polizei mit speziellen Schallpegelmessgeräten auszustatten, die Kontrollen zu verstärken, an den Straßen Lärmdisplays anzubringen und Motorräder mit manipulierten und nicht zugelassenen Auspuffanlagen stillzulegen. Er empfiehlt außerdem, verstärkt an alle Motorradfahrer zu appellieren, sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen zu halten und ihre Fahrweise so zu gestalten, dass Nichtmotorradfahrer die Fahrgeräusche der Maschinen nicht als unerträglichen Lärm empfinden.
Österreich schränkt Motorradfahren bereits ein
In Österreich gibt es auf bestimmten Strecken in Tirol bereits ein Fahrverbot für Motorradfahrer an Sonntagen. Ab dem 10.6.2020 dürfen in Tirol, insbesondere in der Ausflugsregion Reutte, auf bestimmten Strecken keine Motorradfahrer mehr unterwegs sein. Das Fahrverbot gilt bis 31. Oktober 2020 und erfasst auch ortsansässige Motorradfahrer. Verstöße werden mit einem Bußgeld in Höhe von 220 EUR geahndet. Grund ist, dass gerade Österreich als Urlaubsregion gerne Ziel fahrfreudiger Motorradfahrer ist und der Verkehr so zugenommen hat, dass sich die Politik veranlasst sieht, gegenzusteuern.
Motorradlärm ist nur eine Quelle von Lärm
Wir leben in einer Welt, in der es überall lärmt. Der von Motorradfahrern verursachte Verkehrslärm ist nur ein Teil davon. Wenn Flugzeuge starten, der Rasenmäher brummt, Volksfeste gefeiert werden oder der Nachbar in der Mittagszeit Dübellöcher bohrt, wird es laut. Wenn man bedenkt, dass die Zunahme von 10 dB den Lärmpegel bereits verdoppelt und ein Lärmpegel von 50 dB doppelt so laut empfunden wird wie ein Lärmpegel von 40 dB, ist klar, dass das menschliche Ohr sehr empfindlich auf Lärm reagiert. Eine Motorsäge lärmt mit 120 dB und liegt damit an der Schmerzschwelle. Ein einzeln fahrendes Auto verursacht bei 50 km/h ca. 60 dB. Wenn die Politik dann eine Schallgrenze von 80 dB für Motorräder vorschlägt, sollte es möglich sein, sich auf einen Lärmpegel in dieser Dimension zu verständigen.
Motorradfahrer sollten sich insoweit nicht unbedingt diskriminiert fühlen. Wir sprechen eigentlich nur über einen Lärm, der vermeidbar ist und nicht unnötigerweise verursacht werden sollte. Motorradfahrer, die verantwortungsvoll fahren, sollten sich gar nicht betroffen fühlen. Eigentlich geht es nur um solche Verkehrsteilnehmer, die meinen, aus ihren Maschinen alles herausholen zu müssen, was drin ist. Soweit diese Power auf einsamen Straßen entfesselt wird, ist das in Ordnung. Dröhnt der Motor aber im Hörbereich von Anwohnern und Touristen, ist der Motorradlärm ein Angriff aufs Gemüt.
Auch wenn jeder von uns Lärm sehr subjektiv empfindet, lässt sich Lärm durchaus definieren. Die „Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ (TA Lärm) bestimmt Grenzwerte, bis zu denen Lärm statthaft ist. Volksfeste dürfen maximal 55 dB erreichen. Kirchenglocken dürfen tags mit 50 dB und nachts mit 35 dB läuten. Dort, wo es technisch möglich ist, Lärm zu reduzieren, schreibt der Gesetzgeber immer strenger Richtwerte vor. So werden die Triebwerke von Flugzeugen immer leiser. Warum sollte es also für Motorräder eine Ausnahme geben?
Motorradfahrer: Fahrt mit Freude, aber angemessen
Motorradfahren macht Spaß. Das muss aber nicht bedeuten, nur mit maximal hoher Geschwindigkeit unterwegs zu sein und das Leistungsspektrums des Motors hundertprozentig auszunutzen. Wer glaubt, sein Persönlichkeitsrecht ausleben zu dürfen, muss sich vergegenwärtigen, dass sein Persönlichkeitsrecht dort endet, wo er das Persönlichkeitsrecht anderer berührt. Wenn sich alle auf diese sachliche Ebene zurückziehen, sollte es möglich sein, eine für alle verträgliche Regelung zu finden.
Wenn der vorgeschlagene Dezibelhöchstwert für Motorräder akzeptabel erscheint, Motorradfahrer sich an eine rücksichtsvolle Fahrweise halten und stets einbeziehen, dass auch Anwohner und Touristen ein Existenzrecht haben, braucht es vielleicht nicht unbedingt ein Sonntagsfahrverbot. Wer ein Motorrad sein Eigen nennt und in der Woche arbeitet, hätte sonst faktisch kaum noch eine Möglichkeit, sein Motorrad zu nutzen. Wie überall in der Welt, müssen wir alle miteinander auskommen. Mit gutem Willen sollte dies möglich sein.